5 Fragen an Malte Meyer und Daniel Sommerfeld
Intro
Führung neu zu denken, ist heute wichtiger denn je. In Zeiten ständiger Veränderung und wachsender Komplexität brauchen Organisationen neue Wege, Verantwortung zu teilen und Potenziale zu entfalten. Genau hier setzt Co-Leadership an – ein Ansatz, der auf Vertrauen, gemeinsamer Verantwortung und gegenseitiger Unterstützung basiert.
Stefanie Junghans, Expertin für Co-Leadership und Gründerin von Junghans Consulting, begleitet Führungskräfte und Teams dabei, ihr Führungsverhalten grundlegend zu überdenken. Sie hilft ihnen, alte Denkmuster zu hinterfragen, moderne Führungsformen zu erproben und Co-Leadership Schritt für Schritt in der Praxis zu implementieren. Ihr Ziel ist es, Zusammenarbeit, Klarheit und Wirkung in der gemeinsamen Führung nachhaltig zu stärken.
Mit der Interviewreihe „5 Fragen an …“ hat Stefanie Junghans ein wiederkehrendes Format geschaffen, das es ermöglicht, von inspirierenden Persönlichkeiten zu lernen, die Co-Leadership und Shared Leadership bereits aktiv leben. In jedem Interview gibt es Einblicke in echte Praxisbeispiele, persönliche Erfahrungen und die konkrete Umsetzung von gemeinsamer Führung im Alltag.
Die LeserInnen profitieren dabei von praxisnahen Tipps, reflektierten Erkenntnissen und Impulsen, die sie direkt auf ihre eigene Führungsrealität übertragen können. Dieses Format bietet eine wertvolle Möglichkeit, sich weiterzubilden, neue Perspektiven kennenzulernen und zu verstehen, wie Co-Leadership ganz praktisch funktioniert.
In diesem Beitrag von „5 Fragen an …“ spricht Stefanie Junghans mit Malte Meyer (rechts) und Daniel Sommerfeld (links), ehemalige Teamleiter in der Produktion bei Mercedes Benz und Experten mit tiefem Verständnis für moderne Führung und Co-Leadership in der Praxis. Gemeinsam beleuchten sie, wie Zusammenarbeit auf Augenhöhe gelingt und welche Erfahrungen den Weg zu echter geteilten Führung prägen.
Lesen Sie weiter und entdecken Sie, wie Co-Leadership und Shared Leadership Ihre Führungsarbeit transformieren und bereichern können.
In welcher Branche wart ihr tätig und auf welcher Hierarchieebene?
Wir waren in der Automobilbranche tätig, genauer gesagt in der Montage. Dort hatten wir eine Teamleitungsfunktion im unteren bis mittleren Management inne. Wir führten andere Führungskräfte, hatten jedoch aufgrund der großen Konzernstruktur auch viele Hierarchieebenen über uns. Unser Team umfasste etwa 15 feste Mitarbeitende, zeitweise bis zu 20 inklusive Werkstudierender und Praktikant:innen. Indirekt waren wir in Hochphasen für bis zu 550 Mitarbeitende verantwortlich.
Wie war euer Modell aufgebaut und wie habt ihr euch aufgeteilt?
Malte: Wir waren das erste Topsharing Duo in der Produktion des Konzerns, sodass es für uns keine Orientierung gab, wie man so etwas umsetzen konnte. Besonders herausfordernd war die Kurzfristigkeit und Schnelllebigkeit in der Produktion, die zusätzlich durch das Dreischichtsystem geprägt ist. Die Verantwortung musste somit über alle drei Schichten hinweg getragen werden. Uns war von Anfang an klar, dass wir die zusätzliche Zeit für die Menschen einsetzen und daher auch so viel Zeit wie möglich gemeinsam vor Ort verbringen wollten. Wir haben beide zu 75% gearbeitet. Ich hatte montags frei, Daniel freitags und von Dienstag bis Donnerstag waren wir gemeinsam da. Die Arbeitszeiten waren dabei teilweise gleitend, sodass ich zum Beispiel dienstags erst um 9:45 Uhr angefangen habe und sich die Zeiten dann entsprechend verschoben haben. Insgesamt haben wir versucht, das Modell so flexibel wie möglich zu gestalten.
Die Flexibilität war allerdings auch mit die größte Herausforderung, weil es eben kein 9-to-5, sondern sehr volatil war und viel Führungsverantwortung über lange Zeit hinweg forderte. Durch diese Struktur wurde der Anspruch an das Thema Abtimmung ganz hoch, weil das meiste in unserer Tätigkeit über persönliche Gespräch oder über das Telefon stattfand und kaum über E-Mails. Ein funktionierendes System aufzubauen, das sicherstellt, dass alle relevanten Informationen beim jeweils anderen ankommen, war daher zentral.
Daniel: Wir haben versucht, verschiedene Schwerpunkte festzulegen. Gerade, weil Malte den Job schon kannte und ich nachträglich dazu gekommen bin, war es uns wichtig, möglichst viel Zeit gemeinsam zu verbringen. Mit der zusätzlichen Kapazität konnten wir mehr Themen anstoßen und eine ganzheitliche Optimierung, sowohl in unserem Bereich als auch in angrenzenden Bereichen, erzielen. Außerdem investierten wir gezielt Zeit in Führungsthemen. Je nach Bedarf entschieden wir flexibel, welche Themen wir gemeinsam angehen wollten. Da war dann jeder von uns mal Coach und mal Coachee. Dadurch, dass wir montags oder freitags jeweils nicht anwesend waren, musste letztlich jeder von uns alle Aufgaben übernehmen können, insbesondere, wenn akute Probleme aufkamen. Ich erinnere mich noch, dass wir es am Anfang mit einer klaren Aufteilung über OneNote versucht hatten, gaben das System jedoch nach zwei Stunden wieder auf, weil sich dringliche Aufgabenstellungen nicht einfach aufschieben ließen. Wir entwickelten dann eine Grundlogik und mussten uns häufig und intensiv abstimmen. Mittel- bis langfristig gab es aber auf jeden Fall Bereiche, bei denen einer von uns eine höhere Affinität hatte. Malte übernahm häufiger den strukturierenden Part und organisierte viel im Hintergrund, und ich bin ganz gerne mal ins Feuer gegangen und hatte eine Affinität zur Digitalisierung.
Welche Vorteile habt ihr beim Topsharing in der Produktion beobachtet?
Malte: Ich hatte die Position zuvor drei bis vier Jahre alleine inne. Als Daniel dazu kam, brachte er ein völlig anderes Mindset und Herangehen mit. Gerade in der Anfangszeit entstand eine unheimliche Dynamik und wir bewegten viele Dinge gemeinsam, die ich zuvor schon als “funktioniert nicht” abgestempelt hatte. Wenn mir die Energie fehlte oder ich schon keine Ideen mehr hatte, stellte Daniel oft die richtigen Fragen: “Was braucht es, damit es funktioniert? Was brauchst Du, damit es funktioniert?” Er war stark lösungsorientiert und brachte als frisch ernannte Führungskraft viele neue Ideen ein. Gleichzeitig konnte ich ihn vor manchen Fehlern bewahren. Da wir als erste Männer im Konzern dieses Modell umsetzten, erhielten wir viel Aufmerksamkeit, die wir als Ansporn nutzten, um zu zeigen, dass es funktionieren kann. Diese Aufmerksamkeit setzten wir auch gezielt ein, um Themen voranzubringen. Zugleich gab es natürlich auch im Privaten eine positive Auswirkung. Es war eine große Herausforderung, so viele Menschen zu führen und so viel Verantwortung zu tragen und dass wir dann trotzdem noch Zeit hatten für unsere Familien und uns selbst – das war ein echter Gewinn in einem hochanspruchsvollen Umfeld.
Daniel: Man muss hier die verschiedenen Ebenen unterscheiden. Persönlich wäre Teilzeit für mich früher nie infrage gekommen, auch, weil meine Frau als Grundschullehrerin bereits viel in der Kindererziehung eingebunden war. Zudem hat es natürlich auch finanzielle Einbußen bedeutet. Rückblickend muss ich aber sagen, dass ich heute noch gerne an die Zeiten zurückdenke, in denen ich einen Freitag mit meinen Kindern hatte oder auch an die Tage, an denen ich meine Kinder morgens wegbringen und dann nachmittags wieder abholen konnte. Vor Kurzem hat meine Tochter gesagt: “Wann hast du denn endlich mal wieder regelmäßig Freitag frei, damit du morgens und nachmittags da bist” – das prägt auf jeden Fall. Es hat auch eine persönliche Weiterentwicklung auf vielen Ebenen bedeutet, weil ich jemanden Erfahrenen an meiner Seite hatte. Es hat immer noch einen großen Einfluss auf mich, dass ich das Glück hatte, dass Malte mich auf meinem Karriereweg begleitet hat und dass ich damit auch die Chance hatte, mich mit meinen Kindern auseinanderzusetzen. Diese Phase hat mich nachhaltig in meiner Entwicklung beeinflusst, sowohl als Führungskraft als auch als Vater, weil im Endeffekt ist Führung nichts anderes – ob man jetzt Kinder hat oder Mitarbeiter.
Auf Unternehmensebene ist es wichtig zu sagen, dass Topsharing erstmal eine Investition an Kapazitäten und Geld ist, doch wenn es aktiv gesteuert wird, sorgt es für eine Entwicklung sowohl bei den Menschen als auch im gesamten Unternehmen. Bei Produktneuanläufen kann man diese zusätzliche Kapazität z.B. gezielt einsetzen, um die Organisation voranzubringen. Das, was Malte und ich begonnen haben, wirkt bis heute nach, weil wir grundsätzlich Dinge des Verhaltens angesprochen haben. Also, wie gibt man richtiges Feedback, was steckt eigentlich hinter den eigenen Aussagen und Emotionen etc. Das sind alles Dinge, die m.E. nur zum Tragen kommen, weil man sich damit beschäftigt und sich gegenseitig coached und das haben Malte und ich im Endeffekt gemacht – wir haben uns gegenseitig geführt.
Auf der Ebene der Mitarbeitenden, konnten wir in einer Umfrage einen starken Anstieg der Zufriedenheit verzeichnen, weil wir einerseits mehr Zeit hatten und andererseits durch unsere jeweiligen Eigenarten auch individueller auf die Menschen eingehen konnten. Das sind alles Aspekte, die natürlich in der Summe einen großen Benefit haben.
Malte: Der Anstieg der Mitarbeiterzufriedenheit hat uns gezeigt, dass unsere investierte Zeit tatsächlich Wirkung hat und sich lohnt. Ich glaube, es wird von vielen Unternehmen unterschätzt, wie viele Top-Talente auf dem Markt sind, die Teilzeit arbeiten möchten, dies aber nicht können und in die Vollzeit gezwungen werden oder einen ganz anderen Job machen müssen. Dadurch wird ganz viel Potenzial verschenkt. Schuld hat daran niemand direkt, weil es schwierig ist, Topsharing finanziell zu kalkulieren und es ein emotionales Thema bleibt. Ich kann mir vorstellen, dass das Zögern auf Seite der Unternehmen auch damit zusammenhängt, wie hoch die Fluktuation im Betrieb ist. Wenn dort alle drei bis fünf Jahre der Job gewechselt wird, dann lohnt es sich vielleicht nicht.
Wart ihr mit Vorurteilen konfrontiert und wenn ja, mit welchen?
Malte: Ja, viele Vorurteile kamen auf, als ich das Thema Teilzeit angesprochen habe. Teilzeit als Mann und Führungskraft in der Kombination ist schwierig gewesen. Das war vor allem im privaten Umfeld so. Da kamen Fragen wie: “Willst du noch weniger arbeiten?” oder “Wie viel verdienst du denn, wenn du so wenig arbeiten musst?” Ich habe auch gehört, dass ich mir etwas kaputt machen würde, wenn ich in Teilzeit gehe, weil das nicht in die Leistungsgesellschaft passt. Im Unternehmen kam noch das Vorurteil auf, dass wir die Kommunikation nicht gut gestalten und die Informationen untergehen oder auf der Strecke bleiben würden.
Daniel: Ich habe ähnliche Vorurteile im privaten Umfeld zu hören bekommen, z.B. dass Teilzeit kaum noch als richtiges Arbeiten zählt. Auch die Frage, warum meine Frau das nicht einfach weitermacht wie bisher. Ansonsten noch Sprüche wie “Teilzeitpapa” oder, dass ich das nur machen würde, um die Ernennung zur Führungskraft zu erhalten. Das sind Sachen, die sind krass in den Menschen drin, sodass sie gar nicht mal bewusst geäußert werden. Für mich ist das Kommunikationsthema allerdings eher ein Angstthema der Mitarbeitenden als ein Vorurteil. Gerade unsere Mitarbeiter hatten immer die Sorge, dass sie mit einem von uns sprechen, das dann dem anderen nicht erzählt wird und sie dadurch schlechter oder besser gestellt werden.
Was würdet ihr Menschen, die an Topsharing interessiert sind, als Tipp mitgeben?
Daniel: Tandems sollten sich bewusst machen, in welchem Modell sie arbeiten möchten – teilen sie die Aufgaben oder vor allem die Verantwortung? Und welche Erwartungen haben sie aneinander? Es ist wie eine Beziehung: Man muss entscheiden, wie intensiv sie sein soll.
Für Führungskräfte und Entscheider ist wichtig zu klären, welchen Mehrwert sie erwarten und wie viel sie investieren wollen, persönlich und organisatorisch, und dann dementsprechend die Entscheidung zu treffen. So klärt sich auch, ob ich schon bei der Auswahl der Menschen anfange und dann über Begleitung und Gestaltung nachdenke oder ob ich zwei Menschen zusammen werfe und hoffe, dass das was wird.
Malte: Ich würde für das Tandem noch ergänzen: Beide Partner sollten sich darüber im Klaren sein, warum sie Topsharing machen möchten, und diese Motivation offen kommunizieren, zum Beispiel, weil sie sich mehr Flexibilität wünschen oder voneinander lernen möchten. Auch aus Unternehmenssicht ist entscheidend, ob man das Modell aus echter Überzeugung einführt. Wer wirklich an den Mehrwert glaubt, begleitet das Tandem aktiv, wählt die richtigen Menschen aus und bereitet das Umfeld vor. Wenn ich es hingegen nur als Maßnahme ausschreibe, wird daraus am Ende nichts, weil ich gar nicht weiß, wie das Ganze wirklich funktionieren soll. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man das Ganze sehr bewusst macht, also sowohl Hintergründe als auch Hoffnungen klar kommuniziert. Daniel und ich haben immer wieder Runden gedreht, bei denen wir besprochen haben, was wir gerade leisten können oder auch nicht und was wir vom jeweils anderen brauchen.
Was wollt ihr zum Schluss nochmal hervorheben?
Daniel: Topsharing ist ein starkes Werkzeug zur Organisations- oder Persönlichkeitsentwicklung und die Frage bleibt, wie man es gestalten will. Aus meiner Sicht ist es ein sehr wertvolles Werkzeug und ich möchte die Zeit niemals missen. Malte hat mich in meiner persönlichen Entwicklung um Lichtjahre nach vorne gebracht, weil wir so ein intensives Verhältnis zueinander hatten. Natürlich funktioniert das nicht in jeder Konstellation, weil es viel mit der Einstellung und Offenheit von uns beiden zu tun hatte. Man sollte Topsharing nicht aus politischem Druck einführen, sondern aus echter Überzeugung.
Malte: Ja, das unterschreibe ich!
Outro
Ein herzliches Dankeschön an Malte Meyer und Daniel Sommerfeld für das offene und inspirierende Gespräch über Co-Leadership und Shared Leadership.
Hier einige wichtige Erkenntnisse aus diesem Gespräch:
• Co-Leadership ist geeignet für jede Rolle, solange die Menschen dazu bereit sind.
• Co-Leadership sorgt für Entlastung auf Seiten der Führungskräfte und erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit.
• Co-Leadership ist ein Investment, aber eins das sich wirklich lohnt.
Führung ist ein fortlaufender Lernprozess, und Co-Leadership lädt dazu ein, diesen Weg gemeinsam zu gestalten. Vielleicht haben Sie beim Lesen gespürt, welche Aspekte Sie in Ihrer eigenen Arbeit stärken oder verändern möchten. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um diese Impulse für Ihre eigene Führung zu reflektieren: Wie können Sie die vorgestellten Prinzipien von Co-Leadership und Shared Leadership wirksam in Ihrem Führungsalltag integrieren? Welche Herausforderungen oder Chancen ergeben sich für Sie und Ihr Team? Diese Reflexion ist ein wertvoller Schritt auf dem Weg zu moderner, geteilter Führung.
Stefanie Junghans, Expertin für Co-Leadership, unterstützt Führungskräfte und Teams dabei, diesen Wandel aktiv zu gestalten. Sie begleitet Unternehmen auf dem Weg zu nachhaltiger, geteilter Verantwortung und hilft, Co-Leadership gezielt zu implementieren - mit Klarheit, Struktur und Menschlichkeit. Mehr zu ihren Coaching-Angeboten und Beratungen finden Sie auf der Website von Junghans Consulting: HIER
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Bleiben Sie dran für die nächsten spannenden Interviews in der Reihe „5 Fragen an …“ und tauchen Sie mit uns weiter ein in vielfältige Sichtweisen zu Co-Leadership, entdecken Sie praxisnahe Strategien und lassen Sie sich von Erfahrungsberichten anregen, neue Wege der Führung zu gehen.
Kontaktieren Sie Stefanie gerne, um individuelle Fragen zu klären oder ein persönliches Beratungsgespräch zu vereinbaren. Melden Sie sich außerdem für den Newsletter an, um regelmäßig neue Impulse, Veranstaltungen und Praxisberichte rund um Co-Leadership und Shared Leadership zu erhalten.

